Ob es wohl verwerflich ist in Zeiten von Corona um elf Uhr mit einem Glas Pecorino – doch, es gibt einen Weißwein, der so heißt – auf dem Balkon zu setzen und Mário de Sá-Carneiros „Lúcios Bekenntnis“ zu lesen?
In dieser Zeit ist alles anders. Auch ohne Handy wache ich immer noch um 6:45 Uhr auf, gehe in die Küche um einen Schluck Wasser zu trinken, werfe eine Blick auf den Park und gehe kurz auf den anderen Balkon, um zu sehen was auf den Straßen los ist. Leere Busse.
Normalerweise heißt es um diese Zeit Tee machen, 20 Minuten in der Zürcher Zeitung und der New York Times die letzten Nachrichten und, wenn die Zeit reicht, vielleicht etwas Geistreiches im Feuilleton lesen. Dann ruft das Badezimmer, während einen Gedanken wie „Habe ich alles?“, „Sind alle Bücher in meiner Tasche?“ und „Habe ich nichts vergessen?“ bedrängen.
Schlüssel, Handy, Papiere, diverse Plastikkarten für diverse Werkstore. Eine kurze, aber intensive Umarmung. Noch einmal die Wärme ihres Körpers spüren, den Duft ihrer Haare. Ein „ciao bella“, in der Gewissheit mittags oder spätestens abends wieder daheim zu sein.
Ein eng getakteter Tag. Stets präsent sein, motivierend, ausgleichend, vermittelnd. Und dabei noch Spaß haben. Klingt schwieriger, als es ist. Ich unterrichte immer noch gerne, ebenso gerne wie ich schreibe oder fotografiere.
Jetzt ist alles anders. Entschleunigt. Eine Freundin postet zu allen möglichen und unmöglichen Situationen den Hashtag dnkgtt. Das soll wohl Danke Gott heißen. Ich bin kein Freund von Hashtags. Wie hieß es in dem wunderbaren Film „Spacecowboys“?: I’m too old for this shit. Ich weiß, sie sind notwendig, aber ich mag sie trotzdem nicht. Es ist wohl vierzig Jahre her, dass ich zum ersten Mal „Der Gottesbegriff nach Ausschwitz“ von Hand Jonas gelesen habe. Er hat auch mein Gottesbild verändert, denn sonst hätte ich Schwierigkeiten, mir all das, was gerade passiert zu erklären.
Auf meinem Balkon in diesem diversen und dicht bevölkerten Teil Münchens herrscht ein wenig Frieden und ein wenig Frühling. Ich genieße das. Ich weiß um die die Gefahren gesundheitlicher wie finanzieller Art, aber ich baue auch auf einen guten Gott, einen lernenden Gott, der sich mit uns ein lernendes Ebenbild geschaffen hat. Meine Rosen treiben aus, mein Rosmarin blüht und es gibt Zeit Dinge zu tun, die sonst im weißen Rauschen des Alltags untergehen würden.
#andrátuttobene #Iorestoacasa